UfU Informationen | Ausgabe 12 – Juli 2024 | Theresa Seidel

Verstärkter Druck auf Zivilgesellschaft und Klimaaktivist*innen

Wie Staaten zivilgesellschaftliches Engagement immer mehr einschränken

Weltweit gerät die Zivilgesellschaft immer mehr unter Druck, wie neue Daten zeigen. Mit einer unterdrückten Zivilgesellschaft steigt jedoch das Risiko, dass Regierungen korrupt, autoritär und dysfunktional werden. Darüber hinaus ist eine freie Zivilgesellschaft notwendig, um der Klimakrise zu begegnen und Kriege zu beenden. Der sogenannte Civic Space ist häufig der Treiber des politischen Wandels und der notwendigen Transformation. Der Begriff Civic Space bezeichnet einen Raum politischer Handlungsfreiheit für Bürger*innen. Dieser umfasst alle Bereiche, die weder dem Staat, wirtschaftlichen Unternehmen noch dem Privaten zuzurechnen sind.1

Quelle: CIVICUS-Monitor / Brot für die Welt (basierend auf Daten aus 2023)

Der CIVICUS unterteilt Staaten in fünf Kategorien: offen (dunkelgrün), beeinträchtigt (hellgrün), beschränkt (gelb), unterdrückt (orange) und geschlossen (rot). In den offenen Staaten ermöglicht und garantiert der Staat die zivilgesellschaftlichen Freiheiten. Dazu gehört das Recht Vereinigungen zu bilden, im öffentlichen Raum zu demonstrieren sowie Informationen zu erhalten und sie verbreiten zu können. In offenen Staaten sind Autoritäten offen für Kritik, das Versammlungsrecht wird gewährleistet und Demonstrierende werden von der Polizei geschützt. Darüber hinaus müssen die Medien frei sein und Internetinhalte dürfen nicht zensiert werden. In den geschlossenen Staaten herrscht dagegen eine Atmosphäre der Angst. Staatliche und mächtige nichtstaatliche Akteure können Aktivist*innen ungestraft inhaftieren, misshandeln oder töten. Kritik am Regime wird hart bestraft. Es gibt keine Pressefreiheit und das Internet wird stark zensiert.1,2

Entwicklung des CIVICUS-Monitor

CIVICUS ist ein globales Netzwerk für Bürgerbeteiligung und ein internationaler Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen. CIVICUS beobachtet seit 2018 die Entwicklung der Zivilgesellschaft. Das Rating des CIVICUS basiert auf einer Vielzahl unabhängiger Datenquellen. Zu diesen zählen Informationen von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Reporter ohne Grenzen sowie Berichte von regionalen, nationalen sowie internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Daten von staatlicher Seite werden nicht berücksichtigt. Im Rahmen der Bewertung werden insbesondere Informationen in Hinblick auf die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit herangezogen.1,2

Von den fast 200 Staaten der Welt weisen nur 37 Länder eine offene Zivilgesellschaft auf, basierend auf den Daten von 2023. Dies bedeutet, dass nur ca. zwei Prozent der Weltbevölkerung in offenen Staaten mit uneingeschränkten zivilgesellschaftlichen Freiheiten leben, in denen grundlegende zivilgesellschaftliche Freiheiten wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantiert sind. Zu den Staaten mit offenem Civic Space zählen beispielsweise Portugal, die Niederlande und Kanada. Erstmalig seit Beginn der Untersuchungen im Jahr 2018 wurde Deutschland im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr von einer offenen zu einer beeinträchtigten Zivilgesellschaft herabgestuft.1,2

86 Prozent der Weltbevölkerung leben in Staaten, in denen der Civic Space beschränkt, unterdrückt oder geschlossen ist. Seit 2018 ist die Anzahl der rot gekennzeichneten Länder angestiegen, sodass heute fast ein Drittel der Weltbevölkerung in geschlossenen Zivilgesellschaften lebt. Als geschlossene Zivilgesellschaft zählen beispielsweise China, Russland und Vietnam. In diesen Ländern werden Freiheitsrechte eingeschränkt und Regierungen verhaften und verfolgen Kritiker*innen.1,2

Quelle: Brot für die Welt /People Power Under Attack 2023, CIVICUS-Monitor

Auswirkungen auf Klima- und Menschenrechtsaktivist*innen

In vielen Ländern haben die Einschränkungen des Civic Space desaströse Auswirkungen auf Aktivist*innen, Freiwillige, Kirchen und NGOs. Um gegen Aktivist*innen vorzugehen werden Gesetze, der Terrorismusvorwurf, das Internet, Zensur und Gewalt eingesetzt. Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen werden zum Schweigen gebracht. Sie werden verfolgt, diskriminiert, verhaftet und ermordet.1

Auch der Einsatz für Klimagerechtigkeit und Umweltschutz wird immer gefährlicher. Es lässt sich eine Einschränkung der Handlungsräume für die Umwelt- und Klimaschutzbewegung beobachten, die als Shrinking Spaces bezeichnet wird. Klimaaktivist*innen sehen sich mächtigen Interessen von Regierungen, Unternehmen, Milizen und der Holzmafia gegenüber.1 Dies betrifft in vielen Ländern insbesondere auch indigene Gruppen. Laut der NGO Global Witness wurden im Jahr 2022 wurden weltweit 177 Land-, Umwelt- und Klimaschützer*innen umgebracht, die meisten davon in Lateinamerika.3 Mehr als ein Drittel der Ermordeten waren Indigene. Trotzdem ist die Klimabewegung stärker als je zuvor: NGOs sind auf Klimagipfeln präsenter denn je und die Zahl der Klimaklagen hat weltweit zugenommen.1

Situation in Deutschland

Auch in Deutschland lässt sich eine Verschärfung des Umgangs mit der Klimabewegung durch Politiker*innen, Behörden und Justiz beobachten, wie eine gemeinsame Studie des UfU mit Green Legal Impact und anderen Partnern ergeben hat. 4 Deutschland wurde vom CIVICUS aufgrund von Demonstrationsverboten und der gezielten Verfolgung von Klima-Aktivist*innen von einer offenen Zivilgesellschaft zu einer beeinträchtigten herabgestuft. Insbesondere Mitglieder der Letzen Generation wurden unverhältnismäßig behandelt. Dies umfasst Hausdurchsuchungen, Ermittlungen wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung und Verhaftungen mit teils langer Präventivhaft.1 Neben den Einschränkungen auf dem Gebiet des Polizei-, Straf- und Versammlungsrechts wird durch politische Kommunikation die Klimabewegung pauschal diffamiert, z. B. indem Politiker*innen Mitglieder der Klimabewegung als Klimaterroristen bezeichnen. Dies schafft ein diskursives Umfeld was legalen Protest kriminalisiert und unverhältnismäßig hohe Strafen gerechtfertigt.4

Das können wir tun – Forderungen an die Bundesregierung

Die deutsche Regierung muss das Versammlungsrecht in Deutschland umfassend schützen und darf keine pauschalen Versammlungsverbote erlassen. Außerdem muss die Regierung eine wirksame zivilgesellschaftliche Beteiligung in Umweltfragen sicherstellen, damit die Zivilgesellschaft auf die Umwelt- und Klimapolitik Einfluss nehmen kann. Klimaaktivist*innen dürfen nicht kriminalisiert werden. Politiker*innen und Medien sind in der Verantwortung zu einer Versachlichung der Debatte um Klimaaktivismus beizutragen.1

Um Einfluss auf die Menschenrechtslage im Ausland zu nehmen, muss sich die deutsche Regierung stärker von autoritären Staaten distanzieren. Deutsche Botschaften sollten sich mehr für Menschenrechte und deren Verteidiger*innen engagieren.1

Quellenverzeichnis:

  1. Brot für die Welt (2024): Atlas der Zivilgesellschaft. Gefährliches Engagement – Klima und Umwelt. Online verfügbar unter: https://www.brot-fuer-die-welt.de/themen/atlas-der-zivilgesellschaft/
  2. CIVICUS (2023): State of Civil Society Report, Johannesburg. Online verfügbar unter: https://www.civicus.org/index.php/state-of-civil-society-report-2023/
  3. Global Witness (2023): Standing firm. The Land and Environmental Defenders on the frontlines of climate crisis. Online verfügbar unter: https://www.globalwitness.org/en/campaigns/environmental-activists/standing-firm/
  4. Green Legal Impact Germany e. V. (2023): Green Legal Spaces Report 2023 – Beschränkung politischer Teilhaberechte der Klimabewegung in Deutschland. Online verfügbar unter: https://www.greenlegal.eu/wp/wp-content/uploads/2023/12/GLI_Green_Legal_Spaces_Report_2023_20231201.pdf