UfU Informationen | Ausgabe 12 – Juli 2024 | Dr. Christoph Herrler

Wie Klimawandel und Migration zusammenhängen

Anhängende Erklärung zum vorherigen Artikel

„Migration“ wird in Debatten häufig mit einem zusätzlichen Begriff verbunden, der versuchen soll, sie auf einen (vermuteten) Grund oder ein (unterstelltes) Motiv hin zu schärfen. Beispiele hierfür wären etwa „Arbeitsmigration“, „Bildungsmigration“, „Überlebensmigration“ oder auch – der von mir allerdings nicht sehr geschätzte Begriff – „Armutsmigration“. Dies suggeriert, dass hier klare Unterscheidungen möglich seien, und erweckt zudem den Eindruck, dass Migrationsentscheidungen monokausal getroffen werden. Wer selbst schon einmal umgezogen ist (denn Migration ist erst einmal nur vage bestimmt durch die längerfristige Verlagerung des Lebensmittelpunktes über eine gewisse Distanz hinweg)[1], kann Zweifel daran vielleicht schon am eigenen Beispiel nachvollziehen: Bin ich wirklich nur aufgrund des neuen Jobs von Bayern nach Berlin gezogen, oder habe ich nicht von Anfang auch deshalb in Berlin nach einer Arbeitsstelle gesucht, weil ich hier schon viele soziale Kontakte hatte? Kann man in meinem Fall dann noch von „Arbeitsmigration“ sprechen – oder greift dies, ähnlich wie das vermeintliche Bestimmen von Push- und Pull-Faktoren, nicht doch etwas zu kurz und zeigt nicht die ganze Komplexität menschlicher Handlungen.

Dementsprechend ist es schwierig und etwas verkürzt – wenngleich ich dies im Folgenden dennoch tun möchte – von „Klimamigration“ zu sprechen.[2] Denn der Klimawandel ist selten der einzige Grund für Migration. Trotzdem hat er sehr oft Einfluss auf Migrationsentscheidungen – auch wenn das den Betroffenen nicht immer bewusst sein mag. Bei klimawandelinduzierter Migration (oder breiter gefasst: Mobilität) greifen Veränderungen der Umweltbedingungen und soziale Entwicklungen ineinander. Dabei können die Veränderungen kurzfristig stattfinden – etwa, wenn Wetterextreme wie Dürren, Starkregen oder Hurrikane zu Waldbränden, Überschwemmungen oder Sturmschäden führen und Gebiete (zeitweise) unbewohnbar machen. Die daraus resultierende Migration ist relativ eindeutig zuzuordnen und wird vermutlich von vielen Menschen mit dem Begriff „Klimaflucht“ assoziiert. „Klimaflucht“ ist so gesehen in vielen Köpfen präsent als „Überlebensmigration“.

Aber die Lebensbedingungen können sich durch den Klimawandel auch eher schleichend verschlechtern, etwa wenn die Veränderungen von Ökosystemen dazu führen, dass die Landwirtschaft nicht mehr so (erfolgreich) betrieben werden kann wie bisher oder Trinkwasser immer knapper wird. Auch dann kann es zu Migrationsentscheidungen kommen, die mit dem Klimawandel in Verbindung stehen. Allerdings kann diese Zuordnung nicht mehr so klar getroffen werden wie bei der Flucht vor plötzlich auftretenden Extremwetterphänomenen. Die Ausnahme, die hier die Regel bestätigt, ist der Meeresspiegelanstieg, der zwar auch relativ langsam erfolgt, aber dennoch eindeutig zu klimawandelinduzierter Migration bei Insel- und Küstenbewohner*innen führt bzw. führen wird.

Wie viele Menschen von Klimamigration betroffen sein werden, lässt sich schwer sagen. Prognosen hierzu lassen sich zwar finden, aber sind mitunter kaum vergleichbar und gehen mit vielen Schätzwerten sowie Ungewissheiten einher. Es gilt allerdings als gesichert, dass der Klimawandel künftig zu mehr Migrationsbewegungen führen wird; unter anderem deshalb, weil er höchstwahrscheinlich noch mehr Katastrophen, Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen um Ressourcen bedingen oder verschärfen wird. Auch wenn wir aktuell keine genauen Zahlen zu künftiger Klimamigration kennen, entlässt das uns (als reiches Industrieland, das den Klimawandel mit verursacht [hat]) nicht aus der Verantwortung, intensivere Mitigations- und Adaptationsmaßnahmen zu ergreifen. Klimaschutz ist so gesehen auch Fluchtursachenbekämpfung.

Zudem ist Migration auch eine Anpassungsstrategie an die Folgen des Klimawandels. Allerdings eine, die nicht allen offensteht: Denn um migrieren zu können, benötigt es Ressourcen – unter anderem Geld, soziale Netzwerke und einen ausreichenden Gesundheitszustand. Müßig zu erwähnen, dass sich hier wieder unterschiedliche Ausmaße an Vulnerabilität bei verschiedenen Menschen zeigen. Entgegen einer häufig anzutreffenden Auffassung ist (extreme) Armut eher ein Hindernis für Migration. Zwar ist die Annahme plausibel, dass Menschen tendenziell versuchen werden, Verarmung und Perspektivlosigkeit (rechtzeitig) zu entkommen; jedoch ist nicht immer auch ein Weg, wo ein Wille ist. Menschen, denen die nötigen Mittel für eine langfriste Verlagerung des Lebensmittelpunkts fehlen, bleiben „gefangen“ in Gebieten mit prekären Lebensbedingungen und werden zu sog. „trapped populations“. Hinzukommen kann in manchen Fällen eine Besitzfalle: Um an Geld zu kommen, müsste etwa agrarwirtschaftliches Land verkauft werden – genau dieses Land wird allerdings durch die Auswirkungen des Klimawandels immer weniger wert. Im Kontext Klimamigration ist somit auch die unfreiwillige Immobilität ein Problem, das es zu bedenken gilt.

Die Auswirkungen des Klimawandels sind derzeit kein völkerrechtlicher Grund dafür, im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtling anerkannt zu werden (was die Aussicht auf Asyl deutlich verbessern würde) – und dies wird sich vermutlich in naher Zukunft nicht ändern. Was lässt sich, neben der bereits angesprochenen Intensivierung des Klimaschutzes als langfristige Ursachenbekämpfung, politisch daraus folgern? Zunächst ganz generell, dass Migrations- und Klimapolitik nicht als getrennte Bereiche gelten, sondern als miteinander verzahnt gedacht werden sollten und mehrere Ressorts betreffen. Darüber hinaus schlägt der Sachverständigenrat für Integration und Migration der deutschen Bundesregierung in seinem Jahresgutachten 2023 konkret die Einführung dreier Maßnahmen vor:[3] Menschen, bei denen das Herkunftsland langfristig unbewohnbar ist (etwa Bewohner*innen von Inseln, die buchstäblich dem Untergang geweiht sind), soll mit dem „Klima-Pass“ ein bedingungsloses Daueraufenthaltsrecht gewährt werden. Dies dürfte allerdings nur eine relativ geringe Zahl betreffen. Weiterhin werden Kontingente über befristete Aufenthaltsrechte angeregt: einerseits eine „Klima-Card“ für Menschen, deren Herkunftsland stark, aber nicht existenzbedrohend von den Folgen des Klimawandels betroffen ist, bis dieses wieder bewohnbar ist; andererseits ein „Klima-Arbeitsvisum“, wenn die Selbstversorgung in Deutschland sichergestellt ist (nachgewiesen durch einen Arbeitsvertrag) und das Herkunftsland von schleichenden Veränderungen betroffen ist. Bei beiden Kontingentlösungen wird betont, dass es unbedingt mit einer Unterstützung der Anpassungsbemühungen in den Herkunftsländern einhergehen sollte. Die Aufgabe einer jeden Bundesregierung, geeignete Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel zu ergreifen, ist somit nicht nur auf das deutsche Inland beschränkt.

[1] Häufig wird das Überschreiten von (administrativen) Grenzen als Kriterium dazu genommen – allerdings ist dies bei „Klimamigration“ nur bedingt hilfreich und verschleiert, dass ein Großteil davon Binnenmigration ist. Menschen ziehen also nicht direkt ins Ausland, sondern bspw. zunächst von ländlichen Gebieten in urbane Räume innerhalb desselben Landes.

[2] Ausführlichere Informationen sowie weitere Links zur Thematik finden sich auf: https://klimagesichter.de/materialien/

[3] https://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2023/05/SVR_Jahresgutachten_2023-1.pdf